Über das Projekt

In dem Projekt „Köln gefiltert“ beschäftige ich mich mit Orten in Köln, die ikonografisch aufgeladen sind, peripher erscheinen oder eben einfach Teil der Stadt Köln sind.

Folgende Fragen haben mich dabei beschäftigt: Welche Plätze oder Stadträume einer Stadt (hier der Stadt Köln) sind charakteristisch, besonders oder bemerkenswert? Welche Bilder von der Stadt Köln werden als typisch hervorgehoben, bildlich überhöht und vermarktet, sind gängiges Motiv oder postkartentauglich? Was bewirkt, dass ein städtisches Ensemble in der Stadt selbst Beachtung erhält und über die Stadt hinaus eine Außenwirkung entfaltet? Welche historischen Aufnahmen und Bildästhetiken sind Vorbilder bzw. entfalten eine Wirkung bis in heutige (und auch meine) Bilder mit hinein?
Gib es eine spezifische Aura der jeweiligen Orte, und wenn ja – findet sich dort etwas über den Moment des Jetzt hinausreichendes Vergangenes als spürbar Anwesendes, das in die Gegenwart scheint und strahlt und möglicherweise mit Hilfe des Mediums Fotografie vermittelt werden kann? Wie kann ich bei der Sujetfindung und Bildgestaltung aus dem Vorgefundenen (dem städtischen Raum vor Ort) in Auseinandersetzung mit dem Kontext und technischen Möglichkeiten etwas Eigenes, Spezifisches schaffen, so dass jedes Bild einzeln ästhetisch als auch in der Gruppe der Bilder überzeugt?

Konzeptuelle Überlegungen

Ausgangspunkte für das Projekt sind das Thema Stadt und sowie die Faszination an den Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung und insbesondere auch an den vorgefertigten „Retrofilter“. Die Auseinandersetzung mit der seit längerem wieder aktuellen „Retroästhetik“ (und ihrem Rückbezug auf die Ästhetik analoger Bildgestaltung) spielt bei dem Projekt eine wichtige Rolle.

Das teilweise wenig überzeugende Erscheinungsbild der Stadt Köln (was ebenfalls für viele andere deutsche Städte gilt und weitgehend historisch bedingt ist), führt – zumindest bei mir als Zugereistem – zu einem etwas „nostalgischem“[1] Blick auf die Stadt Köln (wobei ich Köln nicht aus meiner Kindheit, sondern nur von historischen Fotografien kenne) aber auch zur Auseinandersetzung mit der Geschichte und der Geschichte der Stadt im Bild, zur Suche nach dem vielleicht doch Bedeutsamen im größeren Zusammenhang und im Detail. Für mich als visuell geprägtem Mensch, der nicht nur flanierend wahrnehmen, sondern auch gestalten will, findet der sowohl zeitlich rückwärts gewandte aber auch im Jetzt verhaftete Blick in der Fotografie der städtischen Situationen eine Möglichkeit zum bildhaften Ausdruck. Das Bild und die Entstehung eines fotografischen Bildes sind eng verknüpft mit einem Moment des Festhaltens des Da-Seins und des Sich-Verortens in der Vergangenheit und Gegenwart. Roland Barthes spricht davon, dass „die Zeugenschaft der Fotografie, die sich nicht auf das Objekt, sondern auf die Zeitlichkeit bezieht“[2]. Ähnliches gilt für mein Projekt. Die Bilder zeigen – so die Idee – die Objekte in ihrer „Augenblickshaftigkeit“[3], ihr potentiell zukünftiges „Verschwinden“[4] wird möglicherweise spürbar.  

Die digitalen Möglichkeiten des Filtern und Bearbeitens sind bei dem Projekt besonders exponiert, denn die nicht nur vordergründige Verwandlung des Vorgefunden und Abgebildeten steht in Beziehung zu einer Art Sehnsucht nach Bedeutung und Anbindung an den historisch-gesellschaftlichen Kontext. Die Anlehnung an scheinbar obsolete Bildästhetiken analoger Bildpraktiken der digitalen Retrofotografie wird hier als Metapher für die und als Ausdruck von ‚Sehnsucht nach dem Realen‘[5] gedeutet.

Bei den Bildern des Projekts und bei jedem Einzelbild von einem bestimmten Ort stellt sich die Frage nach den Möglichkeiten einer potentiellen „Wiederverzauberung“[6] von Welt, auch um die Banalität des Alltags und des städtischen Umfeld auszuhalten. Das Projekt ist insofern Suche und Untersuchung von Bedeutung und Ikonizität und in gewisser Weise eigenmächtig vorgenommene Aufladung mit Bedeutung, ist also ein Akt der Zuweisung.

Ähnliches geschieht bei der schnellen Filterung in der Selbstbildkonstruktion und Selbstvermarktung der Selfiekultur und Instagrammwelt, denn hierbei stehen das schnelle, wenige Klicks dauernde Aufladen eines Bildes mit erhoffter Bedeutung als Projektionsfläche für die sich selbst Fotografierenden, die Anderen (und die sekundenschnelle Verfügbarkeit im Internet) im Vordergrund. Somit stellt sich die Frage, ob das „Filtern“ im Allgemeinen und Besonderen nur eine unkritische Nutzung der Angebote der Digitalindustrie darstellt – also rein affirmativ ist – oder ob es nicht eben doch einen wirklichen (und nicht nur einen scheinbaren) kreativen Raum gibt, den die digitalen Bearbeitungsmöglichkeiten (und insbesondere die Retrofotografie mit ihren teilweise vorgefertigten Filtern) eröffnen. Vordergründig ist dieser kreative Raum auf jeden Fall da und macht wahrscheinlich einen gewichtigen Teil der Attraktivität der Smartphonefotografie aus, denn jeder kann auf die Schnelle effektvoll Bilder (vor allem von sich selbst oder dem aktuellen Umfeld) verändern und gestalten und diesen Bedeutung zuschreiben. Die meisten Ergebnisse in der Instagrammwelt sind jedoch weitgehend standardisiert. Bleibt dennoch trotz einer gewissen Effekthascherei der Retrofotografie ein Raum für „utopische[s] Potenzial“[7], oder handelt es sich dabei nur um Simulationen von vergangenen Ästhetiken, ist sie damit rein nostalgisch, der historischen Begriffskritik zufolge nur „im Ungefähren“[8] verharrend und deshalb abzulehnen? Ich meine, dass trotz berechtigter Kritik ein solches „utopisches Potential“ der „Retrofotografie“ existiert, aber um dieses Potential zu entwickeln und um Intensität und Komplexität zu erzielen, müssen die gestalterischen Möglichkeiten bei der Bearbeitung ausgeschöpft und kreativ genutzt werden – einfach nur einen Filter zu verwenden, reicht dann eben doch nicht. 

Da ein authentisches fotografisches Abbild bei einem Foto nicht möglich ist – eine Binsenweisheit im fotografischen Diskurs -, ist folglich die „Wahrheitsbehauptung der Fotografie“[9] eine Lüge, die im Alltagskontext (insbesondere in der Smartphonefotografie) nur geahnt oder fröhlich und naiv ignoriert wird. Der suggestive und faszinierende Charakter der Fotografie bleibt weiter bestehen. Deshalb scheint es legitim, gerade durch Überhöhung und Verfremdung mit Hilfe der digitalen Bildbearbeitung oder durch Filter die Unzulänglichkeit des Zeigens und Verweisens der Fotografie zu verdeutlichen. Es bleiben jedoch weiterhin geheimnisvolle Reste von Wirklichkeit im fotografischen Bild erhalten, das Bild bleibt Index, indexikalisch. Durch deutlich sichtbare Verfremdung – in meinem Projekt unter dem Begriff des „Filterns“ zusammengefasst – vermittelt das umgestaltete Bild unter anderem den Akt des Zeigens selbst, es veranschaulicht die Indexikalität des fotografischen Bildes und ist damit eben nicht nur das Bild von etwas Abgebildetem, sondern schafft zugleich (und ganz offensichtlich) etwas Neues, beschreibt so das Paradox des fotografischen Abbildens. Durch retroästhetische Überhöhung soll eine Distanz zum Vorgefundenen und zu möglichen Vorbildern geschaffen werden, um die fragile und fragwürdige Verbindung zur Vergangenheit aufscheinen zu lassen.

Die Fotos von „Köln gefiltert“ verweisen auf Bildästhektiken und -konzepte aus der Frühzeit der Fotografie, auf die Amatuerfotografie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sind insofern retrospektiv, spielen mit dem Reiz des Analogen und des Malerischen, wollen aber auch die Historizität des Aktuellen und die Vergänglichkeit des Neuen vermitteln. Das zeigt sich z.B. in folgender Vorgehensweise: Einige Bilder der Serie könnten auch alte Bilder sein, sie imitieren diese teilweise sogar, wenn es um seit Jahrzehnten unveränderte Orte geht. Andere Bilder wären aber so nicht möglich, da die abgebildeten Orte in Teilen viel jünger sind, als die jeweilige Anmutung vermuten lässt, oder kleine Details passen nicht und führen so bei genauem Hinsehen zu einer Irritation der scheinbar die Nostalgie gänzlich befürwortenden Bildwahrnehmung. Die Anlehnung an Bildästhetiken aus vergangenen Zeiten mit Hilfe des „Filterns“ ist insofern ein Mittel und kein Selbstzweck.

Praktische Vorgehensweise

Der Wahl der Bildorte – auch eine Art Filterung – folgt bei dem Projekt „Köln gefiltert“ das Fotografieren und später die Bildbearbeitung. Die Bearbeitung ist jeweils individuell und bildspezifisch, es gibt keine übergeordnete Bildästhetik, die alle dem Projekt zugehörigen Bilder dominiert. Insofern orientieren sich die Einzelbilder an verschiedenen Bildästhetiken; eine gewisse Heterogenität wird in Kauf genommen, da eine einheitliche Bildästhetik zwar vielleicht als stringent, aber letztlich als doch zu einfach erschienen wäre. Gemeinsam ist allen Bildern eine gewisse „Retroästhetik“ durch das mehrfache „Filtern“. Letztlich ist jedes einzelne Bild Resultat eines Prozesses der Bearbeitung in vielen Einzelschritten und Variationen, die mit unterschiedlichen Programmen und Filtern vorgenommen wurden. Jedes Bild ist Ausdruck der Suche nach einem Bild, das einen Anspruch auf Daseinsberechtigung und Überdauern aufweist und vor allem etwas vom „Geist“ des jeweiligen Orts vermittelt.
Die Anordnung der Fotografien auf der Webseite folgt inhaltlichen Kriterien.

Biographisches  

Michael Deffke (geb. 1965 in Berlin), seit 2008 in Köln, Kunstlehrer an einem Kölner Gymnasium, freier Künstler

Kontakt: retrostadt@gmail.com

Bilder zum Projekt „Köln gefiltert“ auch unter:
https://www.instagram.com/koelngefiltert/


[1] Hier gemeint im Sinne einer „Sehnsucht nach Vergangenem“, Brockhaus 1971, zit. nach. Tobias Becker, S. 67

[2] Roland Barthes: 1989, S. 99

[3] Jean Baudrillard, S. 53

[4] Jean Baudrillard, S. 53.

[5] Vgl. Sax, David, 2017

[6] Schrey, Dominik: Retrofotografie: Die Wiederverzauberung der digitalen Welt, 2014, S. 9

[7] Henning, Michelle, 2007, zit. nach Dominik Schrey, 2014, S. 13

[8] Baacke, Dieter, 1976, S. 442

[9] Aus: Verlorene Lebensspuren – Ein Gespräch über Indexikalität in analoger und digitaler Fotografie zwischen Isabelle Graw und Benjamin Buchloh, Texte zur Kunst, Heft 99, 2015


Literatur

  • Baacke, Dieter: Nostalgie – Ein Phänomen ohne Theorie, MERKUR Mai 1976, Heft 336, pp 442-452
  • Baudrillard, Jean: Denn die Illusion steht nicht im Widerspruch zur Realität, 1998, in: Stiegler, Bernd, 50-58
  • Barthes, Roland: Die helle Kammer, Suhrkamp Verlag, 1989
  • Becker, Tobias: Eine kleine Geschichte der Nostalgie, MERKUR
    Dezember 2018, Heft 835, pp 66-73
  • Köln in 1000 historischen Bildern, Kölner Stadt-Anzeiger (Hrsg.), Edition Lempertz 2018
  • Proust, Marcel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, 1913; Bd. I:  Auf dem Weg zu Swann, Reclam 2013, Übersetzung: Bernd-Jürgen Fischer, S. 530
  • Sander, August: Köln wie es war, Emons Verlag 2009, Hrsg. Schäfke; Wagner, Rita, Stadtmuseum Köln
  • Sax, David: Die Rache des Analogen: Warum wir uns nach realen Dingen sehnen, Residenz Verlag, 2017
  • Schrey, Dominik: Retrofotografie – Die Wiederverzauberung der digitalen Welt, 2014, https://www.researchgate.net/publication/287508673_Retrofotografie_Die_Wiederverzauberung_der_digitalen_Welt_In_MEDIENwissenschaft_Rezensionen_Reviews_12015_S_9-26
  • Schrey, Dominik: Analoge Nostalgie in der digitalen Medienkultur (Kaleidogramme) Kadmos Verlag, 2017
  • Stiegler, Bernd: Texte zur Theorie der Fotografie, Reclam Verlag 2018
  • Verlorene Lebensspuren Ein Gespräch über Indexikalität in analoger und digitaler Fotografie zwischen Isabelle Graw und Benjamin Buchloh, Texte zur Kunst, Heft 99, September 2015